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Mittwoch, 17. August 2011

Adrenalin und blaue Flecken

Ein paar hundert Paintballer trainieren hart und wehren sich gegen einen schlechten Ruf – viele andere suchen lediglich etwas «Action»
Das Team West Side Bern beim Training. (Bild: NZZ/Adrian Baer)

Vor 30 Jahren ist Paintball in den USA entstanden. In der Schweiz kämpfen rund 400 Spieler in der Liga um Punkte und die Anerkennung ihres Sports.
Markus Hofmann

Ein Sonntagnachmittag bei Sainte-Croix im Waadtländer Jura: Der Regen hat waagrecht ins Gesicht gepeitscht, jetzt klart es auf, die Spieler versinken im knöcheltiefen Schlamm, sie sind durchnässt, manche schlottern, andere sind froh, dass für sie das Spiel vorbei ist und sie sich trockene Kleider anziehen können. Ausserhalb von Sainte-Croix, auf einem ehemaligen Fussballplatz, zielen Männer und ein paar wenige Frauen aufeinander. Neben Wald, Feuerstelle, einem Weltkriegs-Betonbunker, einem baufälligen Haus und Kuhweiden suchen sie hinter aufblasbaren Barrikaden Deckung. Es ist Spieltag der Schweizer Paintball-Liga.

«Wollt ihr Krieg spielen?»
Die Waffen der Paintballer geben in rasend schneller Folge laute Plops von sich. Doch hier spricht niemand von Waffen. «Markierer» heissen die mit Druckluft betriebenen, halbautomatischen Geräte. Die Munition besteht aus Gelatinekugeln, Kaliber .68, 17,3 Millimeter im Durchmesser. Die «Balls» sind mit greller, biologisch abbaubarer Lebensmittelfarbe gefüllt und verlassen den Lauf der Markierer mit 65 Metern pro Sekunde. Geübte Spieler schaffen es, 10 bis 20 Schuss pro Sekunde abzufeuern. Bei einem Treffer platzen die Kugeln und hinterlassen einen Fleck: Der Gegner ist markiert und geschlagen, er legt als Zeichen der Niederlage eine Hand auf den Kopf und verlässt das Feld, das von einem dichten, die Kugeln abhaltenden Netz umgeben ist.

Die Paintballer machen einen martialischen Eindruck, sie sehen aus wie eine Mischung aus Eishockeyspieler und Videogame-Krieger. Sie tragen Gesichtsschutz, Handschuhe und bunte Trikots in XXL-Grösse mit Polsterungen. Einige Köpfe sind von Beanies geziert, einer Kombination von Kopftuch und Stirnband; sie erinnern an den Kopfschmuck von Spielfilm-Piraten. Und um die Hüften haben die Spieler «Pods» gebunden: mit Balls gefüllte Behälter – die Reservemunition.

Die meisten tragen ein Lachen im Gesicht, die Stimmung ist aufgeräumt, und auch zwischen gegnerischen Teams ist der Umgang kameradschaftlich. Es sind keine Aggressionen oder Fouls auszumachen. Spielzüge werden gelobt und kritisiert. Fällt einer hinter einer Deckung besonders dramatisch in den Schlamm oder trifft einer aus Versehen ein eigenes Teammitglied, wird dies mit Schadenfreude kommentiert, im Bewusstsein, dass einem ein solches Missgeschick beim nächsten Spiel ebenfalls passieren kann. Es kämpfen fünf gegen fünf. Das Team, das sich auf die Seite des Gegners durchschlagen kann, hat gewonnen. Ein Spiel ist schnell vorbei und dauert nur wenige Minuten.

Die Schweizer Liga-Paintballer sind auf der ständigen Suche nach Orten, wo sie ihrem Sport frönen können. Neben Sainte-Croix steht noch ein Feld im luzernischen Eschenbach zur Verfügung. Das Image der Paintballer ist nicht das beste. Gemeinden und Private sind nicht darauf erpicht, ihnen Land zur Verfügung zu stellen. «Wollt ihr wieder Krieg spielen?», bekommen die Paintballer zu hören, wenn sie um eine Genehmigung nachfragen, dann wird ihnen meistens die Tür vor der Nase zugeschlagen. Gerade im Juni hat der Kanton Thurgau das Paintball-Spielen im Wald verboten.

Paintball im Wald sei etwas ganz anderes als auf dem Wettkampfplatz, sagt Christof Wüthrich: «In der Liga geht es um Sport.» Wüthrich, der Organisator der Paintball-Liga und Mitinhaber eines Paintball-Ladens in Baar, ist so etwas wie der Spiritus Rector der hiesigen Paintball-Szene, die 300 bis 400 aktive Spieler zählt. In Sainte-Croix hat Wüthrich, der Wüschi gerufen wird, alle Hände voll zu tun. Er schickt die Mannschaften aufs Feld, teilt die Schiedsrichter – Marshalls genannt – ein, verteilt Pokale an siegreiche Teams und steht manchmal selber als Spieler im Einsatz.

Der angeschlagene Ruf des Paintballs rührt von einer besonderen Spielvariante her: Im Wald- oder Szenarien-Spiel tragen Paintballer auch Tarnanzüge und verwenden «Replikas»: Markierer, die echten Waffen täuschend ähnlich sehen. Beides ist in Liga-Spielen verpönt. Manche spielen in der freien Natur historische Schlachten nach, anderen macht es einfach nur Spass, in die Rolle von Kämpfenden zu schlüpfen. Verbrechen, bei denen sich im Nachhinein herausstellt, dass der Täter auch einmal mit einem Markierer hantierte, sind dem Ansehen des Paintballs ebenfalls nicht gerade förderlich und lassen immer wieder Diskussionen um ein Verbot des Paintballs aufkommen. Die Paintballer, die in Sainte-Croix um Meisterschaftspunkte kämpfen, grenzen sich von den Szenarien-Spielern ab. Sie sehen sich als Sportler, die viel Zeit und Geld – eine brauchbare Ausrüstung kostet über 2500 Franken – in ihr Hobby investieren und regelmässig trainieren.

Ein Extremsport
Ein Mittwochabend in Oberbottigen bei Bern: Martin «Tinu» Schönberg, 21 Jahre alt, Automechaniker, sportliche Figur, treibt seine Kollegen an: «Schneller, nicht schlafen!», ruft er. Die 12 Paintballer werfen sich einer nach dem anderen hinter einer Deckung auf den harten Boden und schiessen auf ein Badetuch, das als Ziel dient. Sie verschiessen keine Gelatinekugeln, sondern «Reballs», gelbe Plastic-Kugeln, die wiederverwendet werden können und keine Flecken hinterlassen. «Höher schiessen», fordert Tinu nun. Es ist Training des Teams West Side Bern in der Turnhalle des Schulhauses Oberbottigen. Wie in anderen Sportarten wird die Automatisierung von Bewegungsabläufen geübt: sich immer wieder schnell ducken, Hechtsprünge hinter eine Deckung – und, natürlich, Kondition.

Doch wieso aufeinanderschiessen? Tinu, der zuvor aktiv Fussball gespielt hat, gibt eine typische Antwort: «Paintball ist eine Extremsportart. Das ist schon einmal etwas Besonderes. Gut, man könnte auch Bungee springen. Aber Paintball ist ein Teamsport. Man trifft Kollegen und hat es gut zusammen. Und wenn man aufeinanderschiesst: Das ist schon etwas anderes als Fussballspielen, auch wenn man weiss, dass die Balls harmlos sind und man sich davon höchstens blaue Flecken holt. Da ist viel Adrenalin dabei.» Tinu spielt seit vier Jahren Paintball, das er im Fernsehen und Internet kennengelernt hat. Er gehört zu den hiesigen Nachwuchshoffnungen und wird von anderen Teams aufgeboten, die an den Wochenenden für Turniere ins Ausland reisen.

Die Paintballer von West Side Bern wehren sich gegen das Vorurteil, gerne Krieg zu spielen. Wenn einer im Freien rumballert, auf ein Auto oder einen Zug schiesst, wird er aus dem Team geworfen. Die jungen Männer scheinen dem Gutachten entstiegen zu sein, das die deutsche Soziologin Linda Steinmetz zur Gewaltbereitschaft von Paintballern verfasste: «Die Suche nach Spannung, Nervenkitzel und Thrill in einer im Laufe des Zivilisationsprozesses gefahrlos und damit langweilig gewordenen Welt sind zentrale Motive des Paintball-Spielers», schreibt sie. Und weiter: «Gewalt ist nur gespielt – unter Zuhilfenahme strenger Sicherheitsvorkehrungen.» Es liessen sich «keinerlei Befürchtungen hinsichtlich realer Gewalt oder Verrohung bestätigen». Steinmetz schliesst: Bei den Spielern handle es sich um «normale» junge Männer (und Frauen), «biografisch unauffällig und mit konventionellen Lebensentwürfen».

Ein deutsches Gericht urteilte, dass Paintball geradezu «harmlos» wirke im Vergleich mit manchen Computerspielen. Die Richter stellten Paintball auf dieselbe Stufe wie andere Mannschaftsspiele, die zur Stärkung sozialer Kontakte beitragen. Dieser Meinung ist auch der Schweizer Bundesrat, der ein Paintball-Verbot bisher ablehnte.

Abreagieren am Feierabend
Ein Montagabend in Kriens: Patrick Geiser gehört wie Christof Wüthrich zu den Paintball-Pionieren in der Schweiz. Seit 20 Jahren ist Paintball seine Passion. Der 38-Jährige hat viele Jahre Turniere im In- und Ausland gespielt. Heute verdient er mit Paintball sein Leben. Er ist Co-Geschäftsführer der Firma «Paintball Arena». Zwölf Spielfelder an vier Standorten betreibt er zusammen mit seinem Kompagnon. Die meisten Spielfelder sind in gedeckten Hallen eingerichtet. Bars, Duschen und Verkaufsstände mit Paintball-Utensilien gehören dazu.

Geisers Kunden sind nicht die Liga-Paintballer. In die Arenen von Geiser kommen diejenigen, die am Feierabend und am Wochenende einmal mit Freunden oder Arbeitskollegen etwas «Action» suchen: Sie mieten sich eine Ausrüstung für 45 Franken (inklusive 400 Balls) und versuchen, sich unter der Aufsicht eines Instruktors «abzuschiessen». Eine Stunde kostet pro Person 20 Franken, ab 10 Personen gibt es Rabatt. Die Hallen sind mit Hindernissen vollgestellt und sehen aus wie Übungsplätze für Nahkampftruppen. Die Taktik spielt hier keine grosse Rolle, der Spass umso mehr. In den USA werde Paintball zur Teambildung eingesetzt, sagt Geiser. In Kriens sei schon die Polizei zu Gast gewesen. Auch Polterabende werden immer wieder durchgeführt: Das Hasenkostüm für den Bräutigam sei beliebt. Das Geschäft laufe. Die Arenen seien zu 70 bis 80 Prozent ausgebucht. Die «Paintball Arena» gehört zu den Marktführern. Geiser beabsichtigt, weitere Hallen zu eröffnen.

Gerade verlässt eine Gruppe nach einer Stunde die Krienser Arena. Verschwitzt und mit roten Köpfen entledigen sich die Männer und Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahren ihrer Schutzkleidung. Eine Frau zeigt mit dem Finger aufgeregt auf ihren Hals. Wo sie von einem Paintball getroffen wurde, zeichnet sich ein Bluterguss ab – das Mal des Adrenalin-Kicks.

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Quellenangabe: "Erschienen in der "Neuen Zürcher Zeitung" am 13.08.2011"
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

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